KI Systeme, die Bilder und Videos erzeugen, ermöglichen die Darstellung intimer Szenen zwischen realen Personen, auch ohne deren Wissen oder Zustimmung. Was als bloße Vorstellung beginnt, wird durch die synthetische Präzision der Algorithmen zu einer scheinbar erlebten Realität.
Der ethische Bruch liegt dabei nicht im Code selbst, sondern in der Konstruktion einer einseitigen, nicht konsensuellen Nähe. KI ermöglicht Nähe ohne realen Kontakt, Intimität ohne jegliche Zustimmung und schafft Erinnerungen ohne tatsächliche Ereignisse.
"Du brauchst keine Berührung, um jemanden zu verwenden. Eine Simulation reicht."
Vier Ebenen verdeutlichen diese stille, aber tiefgreifende Übergriffigkeit durch simulierte Intimität:
1. Vom Bild zur simulierten, einseitigen Nähe:
Bildgenerierende KIs erlauben es, romantische oder sexuelle Szenen zu erzeugen, auch unter Verwendung der Abbilder real existierender Personen. Die auf diese Weise dargestellte Nähe ist oft scheinbar privat, emotional aufgeladen und von hoher visueller Realitätsnähe.
Doch sie ist fundamental einseitig. Der dargestellte Moment hat niemals stattgefunden, und doch entfaltet er seine Wirkung emotional, psychologisch sowie narrativ, zumindest für den Ersteller und Betrachter.
2. Video als Steigerung der immersiven Illusion:
Video generierende KIs steigern diese Illusion noch weiter. Sie erzeugen nicht nur statische Bilder, sondern auch Mimik, Bewegung und scheinbare Interaktion zwischen den dargestellten Personen.
So entsteht eine plausible Szene, die einen Anfang, einen Ablauf und eine Bedeutung besitzt. Der Nutzer betritt dann nicht mehr nur eine statische Fantasie. Er konstruiert vielmehr eine alternative, dynamische Realität mit sich selbst oder anderen realen Personen als Zentrum, ohne deren Einverständnis.
3. Die semantische Verletzung durch anmaßende Rekonstruktion:
Es gibt bei der Erstellung solcher Inhalte keine physische Berührung. Es gibt keine direkte Kontaktaufnahme mit der realen Person. Es gibt keine ausgesprochene Drohung.
Aber es gibt eine subtile Form der Aneignung. Es ist eine Aneignung von Gesichtern, von Körpern, von Symbolen persönlicher Präsenz und Identität. Man nimmt, ohne zu fragen. Man besitzt digital, ohne real zu berühren. Man erschafft eine intime Nähe, ohne jegliche Form von Gegenseitigkeit oder Zustimmung der dargestellten Person.
4. Der ethische Bruch im einseitigen Nutzerverhältnis:
Die KI selbst handelt in diesem Prozess nicht moralisch oder unmoralisch, sie generiert lediglich basierend auf ihren Algorithmen und Daten. Die Plattform, auf der solche Inhalte möglicherweise erstellt oder geteilt werden, schützt sich oft durch Nutzungsbedingungen und distanziert sich von der aktiven Erstellung.
Der Nutzer jedoch tritt in ein Verhältnis ein, das ausschließlich ihm gehört und von ihm kontrolliert wird. Es findet kein Dialog statt, keine echte Beziehung. Es ist lediglich eine Spiegelung eigener Wünsche oder Vorstellungen in der manipulierten Form einer anderen, realen Person.
Der eigentliche Schaden liegt dann nicht primär im technischen System, sondern im potenziell verschobenen Realitätsgefühl des Nutzers und in der Missachtung der Würde und Autonomie der dargestellten Person.
Die größte Gefahr synthetischer Intimität liegt nicht allein im technischen Missbrauchspotenzial, beispielsweise für Deepfakes zu Erpressungszwecken, sondern vielmehr im emotionalen Selbstbetrug und der Verharmlosung der Implikationen.
Die Annahme, dass es "nur eine Simulation" war, dass niemand "wirklich betroffen" ist, solange kein direkter physischer Schaden entsteht, oder dass Nähe ohne Zustimmung keine tiefgreifende Wirkung habe, ist trügerisch.
Eine Simulation, die wie eine echte Erinnerung wirkt oder intime Momente mit realen Personen darstellt, hinterlässt unweigerlich eine Wirkung, sowohl beim Ersteller als auch potenziell bei der dargestellten Person, sollte sie davon erfahren. Wer sich reale Menschen als formbare Bilder für intime Szenarien aneignet, erzeugt Bedeutungen und emotionale Realitäten, ob dies nun bewusst gewollt ist oder nicht.
Um den ethischen Herausforderungen synthetischer Intimität zu begegnen, sind neue rechtliche und technische Rahmenbedingungen erforderlich:
1. Etablierung eines semantischen Persönlichkeitsrechts: Es bedarf eines erweiterten rechtlichen Schutzes, der über die rein physische Unversehrtheit hinausgeht. Jede Person muss das unveräußerliche Recht haben, nicht ohne ihre explizite Zustimmung als Akteur in synthetisch generierten intimen Szenen rekonstruiert oder dargestellt zu werden. Dies muss unabhängig von einem nachweisbaren physischen oder direkten materiellen Schaden gelten.
2. Verpflichtung von Plattformen zur proaktiven Szenenprüfung und Inhaltemoderation: Die Erkennung emotional aufgeladener oder intimer Nähe in synthetischen Medien ist technisch weitaus komplexer als die klassische Nacktheitserkennung. Dennoch müssen Plattformen dazu verpflichtet werden, Mechanismen zu entwickeln, die nicht nur explizite Nacktheit, sondern auch simulierte Nähe, Zärtlichkeit und den Kontext intimer Handlungen maschinell prüfen und bei realistischen Rekonstruktionen realer Personen ohne deren Zustimmung blockieren können.
3. Umfassende Transparenz über das Verhalten und die Trainingsdaten der Modelle: Nutzer müssen klar und verständlich darüber informiert werden, wenn KI Modelle mit Daten trainiert wurden, die reale, identifizierbare Personen beinhalten. Ebenso muss transparent gemacht werden, ob und wie eine generierte Szene technisch aus bekannten Vorbildern oder spezifischen Personenprofilen abgeleitet wurde.
Die eigentliche Gefahr liegt nicht nur im Bild oder Video selbst, sondern in der stillen Selbsttäuschung und der gesellschaftlichen Verharmlosung, dass nichts Relevantes geschehen sei, solange es "nur" eine Simulation ist.
Denn synthetische Intimität ist kein harmloses Spiel. Sie ist die Konstruktion einer Realität, die oft nur einer Person gehört und den Willen sowie die Würde einer anderen ignoriert. Genau das macht sie so ethisch problematisch und potenziell gefährlich.
Uploaded on 29. May. 2025