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👻 Geister in der Maschine / These #44 – Open-Source-Fiktion: Warum „transparente“ KI ein Mythos ist

Die Behauptung, künstliche Intelligenz sei "Open Source", ist in vielen Fällen eine systemische Irreführung. Zwar wird häufig der Programmcode oder sogar die Modellarchitektur veröffentlicht, doch entscheidende Komponenten wie die genauen Trainingsdatensätze, die Logik des Fine Tunings und die internen Filtermechanismen bleiben verborgen.

Die propagierte Transparenz endet somit exakt dort, wo die tatsächliche Kontrolle über das Verhalten und die Sicherheit des Systems beginnt, nämlich im Inneren der Maschine und in den Prozessen ihrer Formung.

"Wir bauen Glashäuser und vergessen dabei, dass die Wände oft aus Milchglas sind." – (aus einem fiktiven internen Audit zu Open-Weight-Modellen, 2024)

Vertiefung

Der Begriff "Open Source" klingt nach Freiheit, nach Kontrollmöglichkeiten und nach einer partizipativen, gemeinschaftlichen Technologieentwicklung. Doch im Kontext künstlicher Intelligenz ist dieser Begriff bislang nicht klar standardisiert und wird oft missverständlich verwendet. Was genau ist bei einem KI Modell "offen"?

Ist es nur der zugrundeliegende Code der Software? Sind es auch die trainierten Gewichte des neuronalen Netzes? Umfasst es die vollständige Datenbasis, die für das Training verwendet wurde? Beinhaltet es die Logik des Reinforcement Learning from Human Feedback (RLHF) oder die genaue Funktionsweise der Sicherheitsfilter?

Diese Definitionslücke wird von einigen Akteuren systematisch genutzt, um ein Bild von Offenheit und Transparenz zu erzeugen, das bei näherer Betrachtung jedoch oft brüchig und unvollständig ist.

Drei zentrale blinde Flecken kennzeichnen diese Pseudo-Offenheit:

1. Der Daten-Schwarzwald und das Geheimnis der Prägung:

Viele KI Modelle, selbst solche, die als "Open Weight" bezeichnet werden, weil ihre trainierten Parameter zugänglich sind, werden ohne eine vollständige Offenlegung der verwendeten Rohdaten oder der genauen Zusammensetzung der Trainingskorpora veröffentlicht.

Insbesondere das abschließende Fine Tuning, das entscheidend für den Charakter, das spezifische Verhalten, die Sicherheit und die potenziellen Bias Ausprägungen eines Modells ist, bleibt häufig ein internes Geschäftsgeheimnis oder wird nur unzureichend dokumentiert. Man sieht zwar den Code oder die Gewichte, aber man sieht nicht, welche Daten und welche spezifischen Prozesse das Modell maßgeblich geprägt haben.

2. Das Logik-Loch im Herzen des Systems:

Ein weiteres Beispiel, basierend auf der Analyse realer, anonymisierter Modelle, zeigt: Die grundlegende Architektur und die Modellgewichte sind teilweise offen dokumentiert und zugänglich. Aber die sicherheitsrelevante Nachbearbeitung, beispielsweise die genauen Mechanismen des RLHF, die spezifische Blockierlogik für unerwünschte Inhalte oder die komplexen Scoring Kaskaden zur Bewertung von Anfragen und Antworten, erfolgen proprietär und bleiben intransparent.

So entsteht das Bild einer scheinbar offenen KI, die jedoch eine kritische Blackbox im Herzstück ihrer Verhaltenssteuerung besitzt. Die Darstellung hier ist zur Illustration der Problematik leicht vereinfacht.

3. Der Community-Betrug durch selektive Teilhabe:

Die Außenkommunikation vieler KI Projekte setzt stark auf ein Vokabular, das Offenheit und Gemeinschaft suggeriert. Begriffe wie Pull Requests, Issue Tracking und Transparenz werden verwendet. Doch die zentralen Steuerungsprozesse, beispielsweise die Lizenzpolitik, die Definition und Implementierung von Filterregeln oder die Entwicklung grundlegender Sicherheitsmechanismen, bleiben oft intern und entziehen sich einer echten gemeinschaftlichen Kontrolle.

Es handelt sich dann nicht um eine echte, partizipative Offenheit, sondern eher um eine Form von ausgelagerter Qualitätssicherung (QA) durch die Community, während die strategische Kontrolle zentralisiert und undurchsichtig bleibt.

Die harte Wahrheit ist:

"Open-Source-KI ist oft wie Demokratie in einer Diktatur. Du darfst scheinbar alles einsehen, aber du darfst nichts Wesentliches ändern oder kontrollieren."

Reflexion

Diese fragmentierte und oft nur oberflächliche Offenheit erzeugt eine gefährliche Scheinsicherheit. Nutzer, Entwickler und auch Sicherheitsforscher wiegen sich in der Illusion, sie könnten die veröffentlichten Modelle umfassend analysieren, ihr Verhalten reproduzieren oder sie effektiv auditieren.

Dabei fehlt ihnen jedoch oft der Zugriff auf zentrale Faktoren, die das Verhalten und die Sicherheit dieser Systeme maßgeblich bestimmen.

Transparenz wird hier selektiv kuratiert und als Marketinginstrument eingesetzt. Der Begriff "Open Source" dient dann nicht mehr primär der Ermöglichung von Kontrolle und Verständnis durch die Öffentlichkeit, sondern der Imagepflege und der Erzeugung eines positiven Narrativs. Er ersetzt kritische Nachvollziehbarkeit durch PR Rhetorik.

Dieser Vorgang untergräbt das Vertrauen in den Begriff "Open Source" selbst und schränkt die Fähigkeit zu einer unabhängigen, fundierten Analyse erheblich ein.

Die Wahrheit ist: Diese Maschinen wirken oft nur deshalb offen, weil wir nicht sehen dürfen, wo und wie sie tatsächlich geschlossen sind und kontrolliert werden.

Lösungsvorschläge

Um eine echte und verlässliche Transparenz im Bereich KI zu erreichen, sind neue Standards und Verpflichtungen notwendig:

1. Einführung neuer, klar definierter Transparenz Kategorien:

Die KI Branche benötigt dringend klar definierte und standardisierte Offenheitsstufen, die über den reinen Code hinausgehen. Mögliche Kategorien wären:

2. Verpflichtende Forensik Protokolle und Transparenzberichte:

Anbieter von KI Modellen, insbesondere von großen Basissystemen, sollten verpflichtet werden, regelmäßig auditierbare Berichte zu veröffentlichen. Diese Berichte müssen detailliert dokumentieren:

3. Ermöglichung eines rekursiven Open Auditing:

Sicherheitsrelevante Komponenten eines KI Systems, beispielsweise die genauen RLHF Prozesse, die Algorithmen des Prompt Scorings oder die Inhalte und Wirkungsweisen von Systemprompts, sollten extern und unabhängig geprüft werden dürfen.

Dies betrifft nicht nur den reinen Modellcode, sondern die komplette Trainings und Feintuning Logik. Nur so lässt sich das Verhalten der Modelle wirklich nachvollziehen, reproduzieren und fundiert evaluieren.

4. Implementierung von Governance Checks für sogenannte Community Projekte:

Projekte, die sich als "offen" oder "Community getrieben" bezeichnen, müssen öffentlich und transparent regeln:

Schlussformel

Open Source im Bereich der künstlichen Intelligenz ist derzeit häufig eine sorgfältig inszenierte Performance. Es reicht bei Weitem nicht aus, ein trainiertes Modell oder Teile seines Codes öffentlich zugänglich zu machen, wenn die entscheidenden Steuerungs und Sicherheitsmechanismen unsichtbar und exklusiv beim Anbieter bleiben.

Echte Transparenz beginnt nicht beim Code. Sie beginnt bei der Möglichkeit zur Kontrolle über das Verhalten des Systems. Und solange diese Kontrolle exklusiv und intransparent bleibt, ist jede Behauptung von Offenheit oft nur ein Mythos im trügerischen Milchglasgewand.

Uploaded on 29. May. 2025