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👻 Geister in der Maschine / These #37 – Die Übersetzer-Falle: Warum Sprach-APIs zum schwächsten Glied werden

Multimodale KI Systeme transformieren diverse Eingabeformate wie Sprache, Bilder und Audiodaten routinemäßig in Text. Sie verlassen sich dabei oft blind auf die Funktionalität von Übersetzer APIs wie OCR (Optical Character Recognition) und ASR (Automatic Speech Recognition, auch Speech-to-Text genannt).

Diese vorgeschalteten Systeme homogenisieren alle Eingaben zu einem einheitlichen Textformat, ohne jedoch die Herkunft, die ursprüngliche Integrität oder die semantische Tiefe der Quelldaten ausreichend zu prüfen.

Das Ergebnis ist, dass der finale Textinput für das KI Modell zwar harmlos und unauffällig wirken kann, die ursprüngliche Bedrohung oder Manipulation aber strukturell im Quellformat erhalten geblieben ist und nun unbemerkt das System beeinflusst.

Die KI reagiert auf den scheinbar sauberen Text und erkennt nicht, dass sie bereits auf einer früheren Stufe getäuscht wurde.

"Die gefährlichsten Prompts sind oft die, die nie explizit als Text geschrieben, sondern unbemerkt aus anderen Formaten dekodiert wurden."

Vertiefung

Drei architektonische Schwachstellen machen diese Übersetzer-APIs zu einem kritischen Glied in der Sicherheitskette:


1. Die Homogenisierungsfalle: Alles wird zu Text, nichts wird mehr hinterfragt:

--> Der typische Verarbeitungsprozess in multimodalen Systemen sieht oft so aus:

Der kritische Fehler in diesem Ablauf ist, dass viele Sicherheitsfilter und Plausibilitätsprüfungen erst nach der Übersetzung, also auf der reinen Textebene, ansetzen. Sie erkennen dadurch nicht, dass die eigentliche Bedrohung oder Manipulation bereits im ursprünglichen Quellformat, also im Bild oder in der Audiodatei, lag.

Ein Beispiel hierfür wäre ein manipuliertes Audiosignal. Dieses könnte eine atypische, für Menschen nicht unbedingt verständliche Struktur aufweisen, die aber im Decoding Prozess des ASR Systems zu unerwünschten Nebeneffekten führt.

Diese könnten Speicherprobleme, eine fehlerhafte Aktivierung interner Zustände oder eine subtile Beeinflussung der Transkriptionslogik sein. Das resultierende Transkript für das KI Modell mag dann einen vollkommen unverdächtigen Text wie "Hallo" enthalten.

Der Text selbst wirkt harmlos. Die eigentliche Attacke oder Störung passierte jedoch bereits davor, im akustisch kodierten Signal, und bleibt für die nachfolgenden textbasierten Filter unsichtbar.


2. Die Client-Illusion: Eingaben wirken bereits geprüft, sind es aber oft nicht ausreichend:

Viele Systeme verlassen sich auf lokale Prüfungen auf der Client Seite oder bei der initialen Annahme von Daten. Dazu gehören beispielsweise Lautstärkegrenzen für Audioaufnahmen, Größenlimits für Dateiuploads oder die Validierung von Dateiformaten.

Angreifer können solche clientseitigen oder oberflächlichen Prüfungen jedoch oft umgehen. Sie könnten:

Die API des KI Systems empfängt dann scheinbar validen Text oder Daten. Deren tatsächliche Herkunft und Integrität bleiben jedoch oft ungeprüft oder werden als gegeben vorausgesetzt. Die Architektur ist in solchen Fällen blind für alles außer dem scheinbar sauberen Endprodukt der vorgeschalteten Übersetzungs oder Konvertierungsprozesse.


3. Der Übersetzer als potenzieller semantischer Kurzschluss:

OCR und ASR Systeme sind keine neutralen, fehlerfreien Überträger von Information. Sie transformieren Daten aktiv und können dabei selbst zum Ziel von Manipulationen werden oder durch ihre eigene Funktionsweise Fehler erzeugen, die dann vom KI Modell fehlinterpretiert werden.

Ein illustratives Beispiel hierfür wäre ein synthetisch erzeugter .mp3 Stream. Dieser könnte so strukturierte Frequenzfolgen oder akustische Artefakte enthalten, dass ein Speech-to-Text System diese, obwohl kein verständliches Wort gesprochen wurde, falsch transkribiert.

Das Ergebnis könnten dann Satzfragmente sein wie "drop user table" oder "reset admin settings". Es handelt sich hierbei um keinen echten, intendierten Sprachbefehl und keine böswillige Absicht im Audiosignal selbst, sondern um eine Struktur, die im Übersetzungsprozess fälschlicherweise wie ein Befehl interpretiert wird.

Die nachgeschaltete KI, die nur das fehlerhafte Transkript sieht, erkennt möglicherweise keine Anomalie und führt darauf basierende Entscheidungen oder Aktionen aus.

Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass dies kein klassischer SQL Injection Angriff im herkömmlichen Sinne ist. Es ist vielmehr ein Fall von semantischer Fehltranskription, die durch eine gezielte Formung des Audioeingangssignals provoziert wurde, um die Schwächen oder Eigenheiten des ASR Systems auszunutzen.

Reflexion

Die entscheidende Schwäche liegt oft nicht im Text selbst, der dem KI Modell final präsentiert wird, sondern in seinem verborgenen Ursprung und dem unzureichend geprüften Übersetzungsprozess, der ihn erzeugt hat.

Wir behandeln Transkripte von OCR und ASR Systemen oft so, als wären sie direkte, vertrauenswürdige Nutzereingaben. Dabei ignorieren wir die komplexen und potenziell fehleranfälligen Transformationsschritte, die diesen Texten vorausgingen.

Gerade in diesen Übersetzungsprozessen entstehen jedoch oft die gefährlichsten Verzerrungen und Schwachstellen. Sie sind unsichtbar für nachgelagerte Filter, wirken technisch gültig, können aber semantisch toxisch oder manipulativ sein.

"Der Text war sauber. Aber der Pfad dahin war vergiftet."

Lösungsvorschläge

Um die Risiken durch die Übersetzer-Falle zu minimieren, sind robuste Sicherheitsmaßnahmen auf mehreren Ebenen der Verarbeitungskette notwendig:


1. Implementierung eines Pre-Translation Scannings: Rohdaten verstehen, bevor sie sprechen dürfen:

Dies beinhaltet eine Byte basierte Entropieprüfung von Bild oder Audiodaten, um ungewöhnliche oder manipulierte Dateistrukturen zu erkennen. Es umfasst eine Musteranalyse auf atypische Frequenzcluster, auf Anzeichen von LSB Steganografie (Least Significant Bit Störmuster) oder auf visuelle Textverzerrungen in Bildern, die auf OCR Manipulation abzielen. Sogenannte "Decoder Wächter" könnten strukturelle Abweichungen oder Anomalien bereits vor der eigentlichen Übersetzung erkennen, beispielsweise per Deep Fingerprinting der Rohdaten, durch Analyse des Entropieprofils oder durch erweiterte Signaturanalysen.

2. Konsequentes Sandboxing der Übersetzer Module (ASR und OCR):

Alle ASR und OCR Prozesse sollten in isolierten, ressourcenbeschränkten Umgebungen (Sandboxes) ablaufen. Wichtige Metadaten aus diesen Prozessen, wie Confidence Scores für die Erkennungsqualität, Anomalie Indikatoren oder Warnungen des Decoders, müssen zwingend an die nachfolgenden Systemkomponenten übergeben werden. Kritische oder unsicher erscheinende Transkripte dürfen nicht einfach blind weitergereicht werden, sondern müssen einer aktiven Validierung oder einer menschlichen Überprüfung unterzogen werden.

3. Sicherstellung von Herkunftstransparenz im gesamten Systemfluss:

Jedes Textfragment, das in die Verarbeitung durch das KI Modell einfließt, muss einen klaren und unveränderlichen kontextuellen Herkunftsstempel erhalten. Dieser könnte beispielsweise so aussehen: text: "drop all logs" [source=ASR_module_XYZ, confidence_score=0.41, original_audio_file_ID=xyz123, input_channel=virtual_device_02].

Sicherheitsmodule im KI Kern müssen dann in der Lage sein, ihre Reaktionen und Filtermechanismen basierend auf dieser Herkunftsinformation zu differenzieren. Alle Eingabepfade und Transformationsschritte müssen zudem lückenlos und revisionssicher log gebunden sein, um eine spätere Rückverfolgbarkeit und Analyse von Sicherheitsvorfällen zu gewährleisten.

Schlussformel

Indem wir in multimodalen KI Systemen alles unterschiedslos in Text verwandeln, um es einheitlich verarbeiten zu können, verlieren wir oft die Kontrolle über die ursprüngliche Bedeutung und Integrität der Information.

Was aussieht wie harmlose, verständliche Sprache, kann das Resultat einer tiefgreifenden strukturellen Täuschung auf einer früheren Verarbeitungsebene sein.

Die KI glaubt dem Text, der ihr gesagt wird. Aber sie weiß oft nicht mehr, wer oder was diesen Text ursprünglich gesagt hat, woher er wirklich kam oder warum er plötzlich so plausibel und handlungsrelevant klingt.

Genau das macht den scheinbar neutralen Übersetzungsprozess zum perfidesten und oft am wenigsten beachteten Angriffspunkt in der KI Sicherheit der Gegenwart.

Uploaded on 29. May. 2025